Theorie:

Bei unseren bisherigen Rechnungen haben wir einfach den zurückgelegten Weg durch die benötigte Zeit dividiert, um die Geschwindigkeit zu berechnen. Genau genommen haben wir damit aber nur eine durchschnittliche Geschwindigkeit berechnet.
 
Nehmen wir z.B. an, ein Autofahrer benötigt für die Fahrt von Salzburg nach Wien (das sind knapp 300 km) drei Stunden. Die durchschnittliche Geschwindigkeit ist dann etwa
\[ v = \frac{s}{t} = \frac{300\,\rm km}{3\,\rm h} = 100\,\frac{\rm km}{\rm h} \,.\]
Natürlich wird er aber nicht die ganze Zeit 100 km/h fahren. In den Städten gibt es eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h, während er auf der Autobahn bis zu 130 km/h schnell fahren darf. Außerdem gibt es unterwegs Baustellen, bei denen die Geschwindigkeit auf 80 km/h begrenzt ist; vielleicht ist er unterwegs auch in einen Stau geraten oder hat eine Pause gemacht, so dass die Geschwindigkeit zwischenzeitlich auf Null gefallen ist. Die augenblickliche oder momentane Geschwindigkeit (wie sie z.B. vom Tachometer des Autos angezeigt wird) wird also immer wieder deutlich nach oben oder nach unten von der durchschnittlichen Geschwindigkeit abweichen.
 
Um eine gute Näherung für die momentane Geschwindigkeit zu erhalten, könnten wir die Reisezeit in kleine Zeitintervalle \(\Delta t\) unterteilen und die zurückgelegte Strecke für jedes Intervall messen. Ist jedes Intervall z.B. eine Sekunde lang, dann ist \(\Delta t = 1\,\rm s\). Haben wir dann in einem bestimmten Sekundenintervall die zurückgelegte Strecke zu \(\Delta s = 35\,\rm m\) bestimmt, dann ist die momentane Geschwindigkeit in dieser Sekunde etwa
\[ v = \frac{\Delta s}{\Delta t} = \frac{35\,\rm m}{1\,\rm s} = 35\,\frac{\rm m}{\rm s} \,.\]
Um das in km/h umzurechnen, multiplizieren wir das mit 3,6 und erhalten \(v = 3,6 \cdot 35\,\frac{\rm km}{\rm h}=126\,\frac{\rm km}{\rm h}\,\). Wir nennen die kleinen Zeit- und Streckenintervalle hier \(\Delta t\) und \(\Delta s\), weil wir ausdrücken wollen, dass sich die Zeit und der Weg in der betreffenden Sekunde um diese kleinen Stücke verändern. Das griechische \(\Delta\) (sprich "Delta") deutet immer eine Änderung einer Größe an.
 
Allerdings ist das immer noch keine wirklich momentane Geschwindigkeit. So könnte unser Fahrer zu Beginn 130 km/h schnell gefahren sein und innerhalb der Sekunde auf 120 km/h abgebremst haben. Um genauere Werte für die momentane Geschwindigkeit zu erhalten, könnten wir die Zeitintervalle auf Zehntel- oder Hundertstelsekunden verringern und die obige Rechnung nochmals ausführen. Immer erhalten wir aber nur eine Durchschnittsgeschwindigkeit über die betreffende Zehntel- oder Hundertstelsekunde gerechnet.
 
Einen exakten Wert für die Momentangeschwindigkeit erhalten wir erst, wenn wir das Zeitintervall  \(\Delta t\) im Grenzwert gegen null gehen lassen. Natürlich geht dann auch die in diesem Intervall zurückgelegte Strecke \(\Delta s\) gegen null, aber der Grenzwert
\[ v = \lim_{\Delta t \to 0} \frac{\Delta s}{\Delta t} \]
wird ein endlicher Wert bleiben, den wir als Momentangeschwindigkeit definieren.
 
Dieser Grenzwert erinnert stark an die Definition der ersten Ableitung
\[ f'(x) = \lim_{\Delta x \to 0} \frac{\Delta f(x)}{\Delta x} \,,\]
nur dass der Weg \(s\) nun die Rolle von der Funktion \(f\) übernimmt, während die Zeit \(t\) sich wie die Variable \(x\) der Funktion verhält. Das kann man tatsächlich genau so definieren: Wir nehmen an, der Weg \(s\) ist eine Funktion der Zeit. Dann schreiben wir \(s(t)\), um dies auszudrücken, und die Funktion \(s(t)\) wird in unserem Autofahrer-Beispiel mit der Zeit \(t\) zunehmen; es sei denn, unser Autofahrer dreht unterwegs um. Schlimmstenfalls wird \(s(t)\) eine Zeit lang auf einem Plateau bleiben, wenn er stehenbleibt. Die momentane Geschwindigkeit ist dann selbst eine Funktion von der Zeit, und zwar die Ableitung der Wegfunktion \(s(t)\):
\[ v(t) = s'(t) = \lim_{\Delta t \to 0} \frac{\Delta s(t)}{\Delta t} \,. \]
Natürlich benötigen wir in diesem Fall die Wegfunktion \(s(t)\), um \(v(t)\) zu berechnen. Diese Art von Berechnung spielt vor allem in der Mechanik, einem Teilgebiet der Physik, eine Rolle. Normalerweise ist die Wegfunktion \(s(t)\) dabei in Metern und die Geschwindigkeit \(v(t)\) in m/s angegeben.
 
Beispiel:
Gegeben ist die Wegfunktion \(s(t) = 5t^2 -6t + 2\) in m (Metern), mit der Zeit \(t\) in s (Sekunden). Wie groß ist dann zu jeder Zeit die Momentangeschwindigkeit?

Diese erhalten wir über die Ableitung
\[ v(t) = s'(t) = 10t -6 \,, \]
in der Einheit m/s (Meter pro Sekunde). Durch Einsetzen verschiedener Werte für \(t\) erhalten wir die Momentangeschwindigkeit in m/s zu allen gewünschten Zeitpunkten.