Theorie:

Die lateinische Sprache kennt insgesamt fünf Deklinationen, von denen die dritte Deklination die weitaus umfangreichste (und damit auch schwierigste) ist – und das aus zwei Gründen:
Wichtig!

 Erstens: Es ist praktisch unmöglich, vom Nominativ auf den Genetiv zu schließen, was die folgenden Beispiele veranschaulichen werden:

 

 
Nominativ Genetiv Stamm Bedeutung
noxnoctisnoct-Nacht
nexnecisnec-Mord
nixnivisniv-Schnee
nuxnucisnuc-Nuss

  

Daraus erkennen wir endgültig, wie wichtig es ist, zu jedem Nominativ unbedingt sofort auch den Genetiv zu lernen; erst ab dem Genetiv sind die übrigen Fälle klar abzuleiten.

Wichtig!

 Zweitens: Die dritte Deklination weist über ein Dutzend verschiedene Endungen im Nominativ auf. Dementsprechend sind auch Geschlechtsregeln (also die Frage, welche Endung welches Geschlecht bedeutet) vielfältiger als bei den übrigen Deklinationen - und obendrein gibt es noch einige Ausnahmen.

 

Trotzdem kann man in gewissem Sinn von einer einheitlichen Deklination sprechen:

Gleichgültig welche Endung der Nominativ hat, und gleichgültig, welches Geschlecht das Hauptwort hat, hat der Genetiv Singular immer die Endung –is, der Dativ Singular immer die Endung –i, doch schon im Akkusativ Singular gibt es Varianten.

 

Besonders achten wir auf Substantiva mit der Endung –us; diese können nämlich drei verschiedenen Deklinationen angehören. Im Nominativ ist die Unterscheidung unmöglich, der Genetiv schafft völlige Klarheit: Dazu je ein Beispiel:
Beispiel:

hortus, i m. 2. Deklination (der Garten)

impetus, us m. 4. Deklination (der Angriff)

tempus, oris n. 3. Deklination (die Zeit)

 

Innerhalb der dritten Deklination unterscheiden wir drei Untergruppen:
    1. Konsonantische Gruppe („Konsonantenstämme“)

    2. Vokalische Gruppe („I-Stämme“)

    3. Mischgruppe („Mischstämme“)


Konsonantische Gruppe

Zunächst sehen wir uns die Endungsfolge an Hand typischer Vertreter dieser Gruppe an und erinnern uns dabei, dass für das Neutrum zwei Sonderregeln gelten: 1) Der Akkusativ hat immer die gleiche Endlung wie der Nominativ – 2) Der Nominativ im Plural (und daher auch der Akkusativ im Plural) endigt immer auf –a.

Beispiel:

victor mask. = der Sieger

fulmen neutr. = der Blitz

 

Kasus Singular Plural Singular Plural

 SingularPlural SingularPlural
Nom.victorvictor-es  fulmen fulmin-a
Gen.victor-is victor-um  fulmin-is fulmin-um
Dat.victor-ivictor-ibus  fulmin-ifulmin-ibus
Akk.victor-em victor-es  fulmenfulmin-a
Abl.victor-evictor-ibus  fulmin-efulmin-ibus

Zur konsonantischen Gruppe gehören verschiedene Nominativendungen, an denen sich auch das Geschlecht der Wörter feststellen lässt:

Wörter auf –or, -os, -er, -es, issind grundsätzlich Maskulina.

Wörter auf –o, -io, -as- -us-, -xsind grundsätzlich Feminina.

 Wörter auf –ur, -ensind grundsätzlich Neutra.

Grundsätzlich“ bedeutet, dass es auch Ausnahmen gibt. Deshalb wollen wir uns gleich einige wichtige Vertreter dieser Gruppe einprägen; bei manchen Beispielen wird im Genetiv zur Sicherheit nicht bloß die Endung, sondern das ganze Wort angegeben, damit es nicht zu Missverständnissen kommt:

Maskulina endigen auf

   

-or RegelAusnahmen
 orator, -ris der Redner

uxor, ris fem die Ehefrau

 scriptor, ris der Schriftsteller soror, ris fem. die Schwester
 color, ris die Farbe

arbor, ris fem. der Baum

 honor, ris Ehre, Ehrenamtcor, cordis neutr. das Herz

 

-os RegelAusnahmen
 mos, moris die Sitte (Pl.: der Charakter)

 os, oris neutr. der Mund

 flos, floris die Blume os, ossis neutr. Bein, Knochen
 

bos, bovis das Rind

 

-er RegelAusnahmen
 pater, patris der Vater

 mater, matris fem. die Mutter

 frater, fratris der Bruder  

ver, veris neutr. der Frühling

 

cadaver, -ris die Leiche

iter, itineris neutr. der Weg

 imber, imbris der Regen

  


 

Wörter auf –es und –is gehören nur dann zur Konsonantengruppe, wenn der Genetiv -is mehr Silben hat als der Nominativ; man nennt solche Wörter „Imparisyllaba“; sind sie jedoch Gleichsilbler, „Parisyllaba“, dann gehören sie zur gemischten Gruppe.

-es RegelAusnahmen
 miles, militis der Soldat

 quies, quietis fem. die Ruhe

 pes, pedis der Fuß  

aes, aeris neutr. das Erz, das Geld

 

capedes, peditis der Fußsoldat

 

 eques, equitis der Reiter, der Ritter

  


Feminina endigen auf

 Regel Ausnahmen

-o imago, -inis das Bild homo, hominis mask. der Mensch

origo, -inis der Ursprung ordo, ordinis mask. die Reihe, Ordnung

sermo, sermonis mask.das Gespräch


-io oratio, -nis die Rede

legio, -nis die Legion


-as aetas, -tis das (Zeit-)Alter vas, vasis neutr. die Vase, das Gefäß (Plural: vasa, vasorum = O-Deklination)

aestas, -tis der Sommer

veritas, -tis die Wahrheit


-us virtus, -tis die Tugend Neutra, wenn der Genetiv auf –ris endigt

salus, -tis das Heil opus, operis neutr. das Werk

palus, -dis der Sumpf tempus, -oris neutr. die Zeit

iuventus, -tis die Jugend corpus, corporis neutr.der Körper

vulnus, vulneris neutr. die Wunde

onus, oneris neutr. die Last


-x lex, legis das Gesetz rex, regis mask. der König

pax, pacis der Friede dux, ducis mask. der Führer

nox, noctis die Nacht grex, gregis mask. die Herde


Neutra endigen auf

-ur fulgur, -uris der Blitz (sowie alle Substantiva auf –us, wenn der Genetiv auf –ris endigt; siehe oben!)

robur, -oris die Kraft


-en nomen, -inis der Name

flumen, -inis der Fluss

carmen, -inis das Lied, Gedicht


Vokalische Gruppe

Im Unterschied zur konsonantischen Gruppe werden folgende Fälle anders gebildet:

Akkusativ Singular -im

Ablativ Singular -i

Genetiv Plural -ium

Bei den Neutra ist freilich – wie immer – zu beachten, dass der Akkusativ gleich dem Nominativ ist; der Nominativ Plural (und damit auch der Akkusativ im Plural) hat hier die Endung –ia). Die Unterschiede zur konsonantischen Gruppe sind fett hervorgehoben:

turris fem. = der Turm mare, maris neutr. = das Meer

Kasus Singular Plural Singular Plural

Nom. turris turr-es mare mar-ia

Gen. turr-is turr-ium mar-is mar-ium

Dat. turr-i turr-ibus mar-i mar-ibus

Akk. turr-im turr-es mare mar-ia

Abl. turr-i turr-ibus mar-i mar-ibus

Bei der vokalischen Gruppe gibt es keine Maskulina, wohl aber Feminina und Neutra:

Feminina sind

Sechs Parisyllaba auf –is, die wir nachfolgend in einer bestimmten Reihenfolge anführen – so lassen sie sich erfahrungsgemäß leichter merken: turris, febris, sitis –puppis, vis, securis.

turris, -is der Turm

febris, -is das Fieber

sitis, -is der Durst

puppis, -is das Hinterdeck

vis – vim – vi Kraft, Gewalt

securis, -is das Beil

Das Wort vis bildet im Singular nur den Nominativ, Akkusativ und Ablativ: vis – vim – vi; im Plural jedoch kann es vollständig dekliniert werden: vires – virium – viribus – vires – viribus


Neutra endigen auf

-e mare, maris das Meer

rete, retis das Netz


-al animal, -lis das Tier

vectigal, -lis die Steuer


-ar exemplar, -ris das Exemplar


Mischgruppe

Im Singular weist diese Gruppe die Merkmale der konsonantischen Gruppe, im Plural hingegen die Merkmale der vokalischen Gruppe auf:

Akkusativ Singular -em

Ablativ Singular -e

Genetiv Plural -ium

Die Mischgruppe hat als Regelgeschlecht nur das Femininum – allerdings gibt es auch männliche Ausnahmen.

nubes fem. = die Wolke pars fem. = der Teil

Kasus Singular Plural Singular Plural

Nom. nubes nub-es pars part-es

Gen. nub-is nub-ium part-is part-ium

Dat. nub-i nub-ibus part-i part-ibus

Akk. nub-em nub-es part-em part-es

Abl. nub-e nub-ibus part-e part-ibus


Zur Mischgruppe gehören

1) alle Parisyllaba auf –es sowie jene Parisyllaba auf –is, die nicht zur vokalischen Gruppe gehören

 Regelgeschlecht Femininum Ausnahmen Maskulinum

nubes, nubis die Wolke collis, collis der Hügel

fames, famis der Hunger menis, mensis der Monat

clades, cladis die Niederlage orbis, orbis der Kreis

navis, navis das Schiff finis, finis das Ende

avis, avis der Vogel ignis, ignis das Feuer

piscis, piscis der Fisch

civis, civis der Bürger

hostis, hostis der Feind

parentes, parentium die Eltern


2) alle Wörter auf –s mit vorangehendem Konsonanten

 Regelgeschlecht Femininum Ausnahme Maskulinum 

pars, partis der Teil mons, montis der Berg

ars, artis die Kunst pons, pontis die Brücke

mors, mortis der Tod fons, fontis die Quelle

mens, mentis der Sinn, der Geist dens, dentis der Zahn

urbs, urbis die Stadt (in der Antike zumeist nur auf Rom bezogen)