Theorie:
Johann Gottfried Herder,
Anton Graff, 1785
Johann Gottfried Herder (1744 - 1803) stammte aus Ostpreußen. Er studierte Theologie an der Universität in Königsberg, wo Professor Johann Georg Hamann großen Einfluss auf ihn ausübte.
1773 heiratet er Maria Karoline Flachsland in Darmstadt. Seine Ehefrau unterstützte ihn im Hintergrund, lektorierte seine Schriften, ordnete nach seinem Tod den Nachlass und gab seine Werke heraus.
Hamann, wegen seiner dunklen und mystischen Schriften auch der "Magus des Nordens" genannt, war ein entschiedener Gegner des Rationalismus und der Verstandesaufklärung. Er betonte die Vorherrschaft des Gemütes über den Verstand, die Ganzheit des Menschen und die Unmittelbarkeit der göttlichen Eingebung. Nach Hamann sei die Poesie "die Muttersprache des Menschengeschlechtes" und am unverfälschtesten in Volkslied und Volksdichtung zu finden.
Nach Abschluss seiner Studien wirkte Herder als protestantischer Prediger in Riga. Von dort reist er zur See nach Frankreich und zieht weiter nach Straßburg, wo er das Haupt der "rheinischen Stürmer und Dränger" wird. Sein fünf Jahre jüngerer Freund Goethe verdrängt ihn jedoch bald aus seiner Führerstellung. Etwas später, 1776, wird er durch Vermittlung Goethes als Generalsuperintendant nach Weimar berufen, wo er bis zu seinem Tode bleibt.
Herders Bedeutung liegt auf den Gebieten der Kritik, der Poetik, der Sprachgeschichte, der Sprachphilosophie, der Ästhetik, der Kulturgeschichte, der Übersetzung und der literarischen Sammlertätigkeit.
Die wichtigesten Werke
1. "Fragmente über die neuere deutsche Literatur"
Im Anschluss an Hamann stellt Herder den Satz von der Volksverbundenheit der Kunst im Allgemeinen und der Literatur im Besonderen auf. Der Volkscharakter müsse bei jeder Kunstbetrachtung in Rechnung gestellt werden. Es sei daher sinnlos, die Kunst irgendeines fremden Volkes nachahmen zu wollen, jedoch könne man durch ihr Studium und durch Vergleich wertvolle Erkenntnisse für die eigene Nationalpoesie gewinnen. Eine eifrige Übersetzungs- und Sammeltätigkeit sei Voraussetzung dafür. Im Zusammenhang damit entwickelt Herder seine
2. "Theorie über Ursprung und Lebensalter der Sprache"
Die Sprache ist aus Tanz und Gesang entstanden. (Diese Ansicht vertreten auch namhafte Sprachwissenschaftler*innen des 20. Jahrhunderts, z. B. Otto Jespersen.) Ihre Kindheit sei daher das Zeitalter der Lyrik: die Sprache sei noch anschaulich und bilderreich oder, wie Herder sagte, "sinnlich". Ihre volle Kraft entwickelte sie im Jünglingsalter der epischen Dichtung. Im Mannesalter des Dramas und der Prosa sei sie zwar durchgeistigter, aber auch ärmer im Ausdruck geworden. Schließlich werde sie in das Greisenalter der abstrakten, philosophischen Zeit einmünden.
Herder hatte die angeblichen Lieder des altschottischen Barden (volkstümlichen, heldischen Sängers) Ossian gelesen. Diese waren zwar, wie sich später herausstellte, eine Unterschiebung des Herausgebers Macpherson, regten Herder aber dennoch zu einer seiner wichtigsten kritischen Schriften an:
3. "Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker"
Diese Schrift - auch "Ossianaufsatz" genannt - erschien mit Herders Aufsatz über Shakespeare (in dem er wie Lessing den großen Engländer als Vorbild für die deutsche Dramatik hinstellt), Goethes Aufsatz "Von deutscher Baukunst" und einigen anderen Abhandlungen in der Sammlung "Von deutscher Art und Kunst. Einige fliegende Blätter".
Man müsse, so meint Herder, wenn man die Dichtung in ihrem urtümlichen Wesen erfassen wolle, Volkslieder und Volksballaden aller Nationen sammeln und durch Übersetzung einem größeren Publikum zugänglich machen. Die Poesie der so genannten "primitiven" Völker sei dabei besonders zu bevorzugen, denn gerade hier fänden sich die wahren ergreifenden und echt poetischen Züge, die der Kunstpoesie oft schon verloren gegangen sein.
Als Beispiel bringt Herder unter anderem die Übersetzung der schottischen Ballade "Edward" ("Dein Schwert, wie ist's von Blut so rot …") und das Lied vom Heidenröslein, das später von Goethe umgestaltet wurde. Aber sogar auch die peruanische und die lappländische Dichtung kommen zu Wort.
Stimmen der Völker in Liedern
Herder setzte selbst seine Forderungen in die Praxis um, indem er eine große Volksliedersammlung herausgab. Er nahm in diese Sammlung nicht nur Lieder unbekannter Quellen auf, sondern auch andere volkstümliche Gedichte, z. B. Claudius' "Abendlied". Auch die Ballade ist gut vertreten: außer dem genannten "Edward" etwa noch der "Erlkönig", "Herr Oluf" (= "Erlkönigs Tochter") u. a. Über die Motive der Volkslieder.
Von Herders übrigen Schriften sind vor allem seine "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit", ein erster Versuch, eine Kulturgeschichte zu zu schreiben, zu erwähnen; ferner die "Kritischen Wälder", eine ästhetische Abhandlung, angeregt durch Lessings "Laokoon", doch z. T. mit gegensätzlichen Ansichten. "Die älteste Urkunde des Menschengeschlechtes" ist nach einer gleichnamigen Schrift Herders die Bibel, die aus den nationalen und kulturellen Verhältnissen des jüdischen Altertums zu erklären ist.
Herders Dichtungen sind wenig bedeutend: Fabeln, Legenden, Parabeln. Von den Übersetzungen Herders wurden außer den Volksliedern vor allem die Romanzen vom Cid bekannt.
Quellen:
Roland, M. (Hrsg.): DEUTSCH. Lehrbrief 13, Dr. Roland GmbH, Auflage 08/2015, Wien
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Johann_Gottfried_Herder_2.jpg, 01.06.2016