Theorie:
Gegen die scharfe intellektuelle Beobachtung des Naturalismus, der in der Dichtung nicht die Kunst und das Schöne, sondern allein das Wahre sucht - möge dieses auch noch so hässlich sein -, tritt wieder eine gefühlsbetonte Richtung, die das Fantastische, Irrationale, aber auch das Ästhetisch-Schöne zurück in die Dichtung bringt.
Nicht der gesunde Mensch, der zwar in die Abgründe des Seelischen einzudringen strebt, aber doch fröhlich und unbeschwert durch Wald und Wiesen wandert, ist Träger bzw. Trägerin der Dichtkunst. Es ist der nervöse, schon etwas verweichlichte, in einer Welt von Unnatur und Zivilisation stehende Mensch des beginnenden 20. Jahrhunderts.
Während in der Romantik die Formlosigkeit herrschte, weist die Neuromantik eine fast virtuose Beherrschung der Form auf, das Streben nach Schönheit im sprachlichen Ausdruck ist ihr eigen. Nicht mehr schlicht, einfach, naiv und volkstümlich, sondern bereits der Wesensart des komplizierten modernen Menschen angepasst ist die Sprache der Neuromantik.
Besondere Früchte hat diese Strömung auf dem Gebiete der Musik gezeitigt. Hans Pfitzner und Richard Strauss folgen mit einem Großteil ihrer Werke den neuen Idealen. Aber auch am Anfang dieser Richtung steht ein Musiker, dessen Schaffen die kommenden Generationen in maßgeblichster Weise beeinflusst hat: Richard Wagner, der geniale Dichter-Komponist.
Vertreter der Neuromantik (aber auch anderen Strömungen) sind zum Beispiel Arthur Schnitzler (Kapitel 8), Hugo von Hofmannsthal (Kapitel 9) oder Autorinnen und Autoren aus Kapitel 12.
"Der Ring des Nibelungen"
"Parsifal"
In seinem letzten Werk überwindet der Dichter-Komponist den Pessimismus Schopenhauers. Die alle seine Werke durchziehende Erlösungsidee wird hier gepaart mit dem "Mit-Leiden" und klingt nicht in Weltverneinung aus, sondern wird weltbejahend im Sinne höchster christlicher Mystik verklärt.
Bedeutung
Diese Werke Wagners, in denen Sinnlich-Aufwühlendes so nahe neben Mystisch-Erschütterndem legt, haben eine ungeheure Wirkung auf die Zeitgenossen ausgeübt und ganz besonders auf eine in Frankreich entstehende Strömung, die der Neuromantik nahe verwandt ist, eingewirkt: den Symbolismus.