Theorie:
Bürgerlicher/poetischer Realismus (1848 - 1885)
Damit wird die Epoche zwischen der (gescheiterten) bürgerlichen Revolution \(1848\) und dem Aufkommen des Naturalismus in den \(80\)er Jahren des \(19\). Jahrhunderts bezeichnet. Der Begriff "Poetischer Realismus" stammt vom Schriftsteller Otto Ludwig.
Hintergründe
Politische Voraussetzungen
- Bürgerliche Revolution 1848: Nach dem Scheitern der Revolution wendet sich das Bürgertum vom Widerstand gegen den Absolutismus ab und überlässt den Eliten (Adel, Militär) die Macht. Durch einen Rückzug ins bürgerliche Leben sichert sich die Schicht Wohlstand, Ruhe und Ordnung.
- Langsame Liberalisierung und wirtschaftlicher Aufschwung in Deutschland, aber
- wachsende Probleme: Industrialisierung und von der Literatur weitgehend unbeachtete Probleme der Arbeiter.
Der Bürgerliche Realismus beginnt mit der gescheiterten bürgerlichen Revolution 1848
Philosophie und Wissenschaft
- exakte Wissenschaften verdrängen die spekulative Philosophie
- Abkehr vom Idealismus
- Arthur Schopenhauer: Pessimismus und Verneinung der Willensfreiheit des Menschen
- Charles Darwin: Begründer der modernen Abstammungslehre
Welt- und Menschenbild
Mit dem Schwinden an den Glauben einer Willensfreiheit des Menschen schwindet auch der traditionelle Begriff der Schuld. Somit verschwindet auch der "Bösewicht" aus der Literatur.
Damit verbunden ist der Begriff des "Pantragismus": Tragik entsteht nicht aus konkreter Schuld, sondern aus "Individuation" (Vereinzelung), das heißt der einzelne Mensch ragt durch neue Ideen hervor, "stört" aber dadurch den Ablauf des Weltgeschehens und geht unter. Diese "Störung" ist nötig, damit die Welt sich weiterentwickelt, bedeutet aber für den "Ruhestörer" den persönlichen Untergang.
Merkmale
Der bürgerliche Realismus bietet eine Auslese aus der Wirklichkeit, vom Standpunkt des Schönen gesehen, eine Harmonie zwischen Realismus und Poesie.
Diese stilisierte, idealisierte Wirklichkeit wird voll Lebensbejahung, Lebens- und Wirklichkeitsfreude möglichst objektiv dargestellt. Durch die betonte Diesseitseinstellung steht das Reale gleichwertig neben dem Geistigen.Im Mittelpunkt stehen bürgerliche Werte, der Lebensalltag und die Gegenwart
Modernes Leben, der Lebensalltag, die Gegenwart werden zum Gegenstand der Dichtung. Kennzeichnend ist ein Diesseits-Standpunkt, bei dem bürgerliche Werte wie Einfachheit, Schlichtheit, Fleiß usw. überwiegen. Bei der Auseinandersetzung mit der Lebenswirklichkeit wird innere Wahrheit angestrebt. Allgemeingültige Probleme, doch auch soziales Verständnis kennzeichnen diese liberalistisch eingestellte bürgerliche Dichtung. Die Schriftstellenden werden feine Lebensbeobachtende und stellen die lebensvollen Charaktere psychologisch vertieft dar. In der "Soseinsdichtung" soll der Mensch geschildert werden, wie er ist.
Bevorzugte Dichtungsgattungen
- Empfindungs- und Naturlyrik
- Realistische Romanformen: besonders Gesellschaftsromane (z.B. "Effi Briest" von Theodor Fontane) und Bildungsromane ("Der grüne Heinrich" von Gottfried Keller)
- Novelle: war die beliebteste Form dieser Epoche und wurde zur Darstellung konzentrierter Milieu- und Identitätskonflikte verwendet (z.B. "Romeo und Julia auf dem Dorfe" von Gottfried Keller)
- Bürgerliches Drama: als Fortsetzung des Bürgerlichen Trauerspiels und des Ideendramas der Klassik
Zu den bevorzugten literarischen Gattungen gehört die Empfindungs- und Naturlyrik
Zusammenhänge mit anderen Epochen
- Mit der Klassik: Überzeitliches, Allgemeingültiges; Hohe Formkunst; objektives Zurücktreten der Schriftstellenden.
- Mit der Romantik: Gemeinsam ist ihnen Stimmung, Gefühl, und Phantasie. Der poetische Realismus lehnt aber das Absonderliche, Abenteuerlich-Phantastische, Schwärmerisch-Weltfremde und die Wirklichkeitssucht der Romantik ab.
- Mit dem Naturalismus: Gemeinsam ist das Streben nach Wirklichkeit, Objektivität, sozialem Verständnis und realistischer Darstellung. Der poetische Realismus ist aber gegen die schonungslose Darstellung des Hässlichen, Extremen, Kranken, gegen Pessimismus und Materialismus.
Übersicht
Folgende Schriftschaffende werden in den nächsten Theoriekapiteln näher behandelt:
Schweiz:
- Gottfried Keller
Deutschland:
- Theodor Storm
- Wilhelm Raabe
- Theodor Fontane
Österreich:
- Marie von Ebner-Eschenbach
- Ferdinand von Saar
- Ludwig Anzengruber
Weitere wichtige Vertretende dieser Epoche seien hier der Vollständigkeit halber angeführt:
Schweiz:
- Conrad Ferdinand Meyer
- Jeremias Gotthelf
Deutschland:
- Wilhelm Busch
- Josef Viktor Scheffel
- Gustav Freytag
- Otto Ludwig
- Friedrich Hebbel
- Richard Wagner (als Dichter der Texte seiner Musikdramen)
Österreich:
- Peter Rossegger: einer der größten realistischen Erzähler und Heimatdichter des Landes
Quellen:
Mayer, Stephanie (2015): DEUTSCH. Literaturgeschichte 2, Dr. Roland GmbH, 8. Auflage, Wien
Schenk, I. (2015): DEUTSCH. Lehrbrief 23-25, Dr. Roland GmbH, 2. Auflage, Wien
https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AFrankfurt_am_Main_Barrikade_1848.jpg (24.5.2016)
https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AGustave_Caillebotte_-_Jour_de_pluie_%C3%A0_Paris.jpg (24.5.2016)
https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ACaspar_David_Friedrich_027.jpg (24.5.2016)